Als wir unmündig waren, waren wir unter die Elementarmächte des Kosmos versklavt.
Als aber die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn.
(Galaterbrief 4,3-4 nach dem griechischen Urtext)
Unter dem Ausdruck Fülle der Zeit verstand der Apostel Paulus die Erfüllung eines alten Zeitabschnittes, und den Beginn einer neuen Ära.
Um den Beginn dieses neuen Zeitalters – das mit der Geburt Jesu Christi begann – für alle Menschen der alten Welt (Europa, Asien, Afrika) unübersehbar und unwiderlegbar zu kennzeichnen, entschied sich Gott zu einer himmlischen Ankündigung, die in ihrer Dramatik und tiefen kulturellen/mythologischen Bedeutung weder von Juden, von Heiden, von Religiösen, von Akademikern, von Philosophen, noch von Wissenschaftlern und Gottlosen der damaligen Welt ignoriert werden konnte. Es war ein Signal – ein kosmisches Schauspiel in gewisser Weise – das in jeder Kultur der alten Welt als heilsgeschichtlich verstanden werden musste.
In dieser Abhandlung wird untersucht, warum dies so war, um was es sich genau handelte, und wie die Menschen darauf reagierten (insbesondere Nicht-Juden).
Vor allem ein Mann, ein jüdischer Prophet, war ca. 600 Jahre vor dieser Zeitenwende geistiger Wegbereiter für ein tieferes Verständnis dieser Erscheinung, obwohl diese doch schon tausend Jahre zuvor angekündigt worden war. Um im folgenden Text zu untersuchen, was der alttestamentliche Prophet Daniel von Juda (ca. 620-535 BC) mit dem ›Stern von Bethlehem‹ sowie der Verehrung des Sohnes Gottes durch die Μάγοι ἀπὸ ἀνατολῶν (Magoi apo anatolôn), also der ›Magier von Osten‹ (Matth. 2,1) zu tun hat, müssen wir tief in die Kultur- und Wissenschaftsgeschichte Babylons und Mesopotamiens eintauchen, in eine Zeit, die ca. 4.500 Jahre in der Vergangenheit liegt …
I. Himmelsbeobachtung in Mesopotamien und im alten Babylon
Die astronomisch/mathematischen Kenntnisse der Sumerer und ein wenig später der Babylonier sind legendär, und viele
unserer modernen Naturwissenschaften wären ohne ihre ›Grundlagenforschung‹ – die freilich aus einer gänzlich anderen, nämlich einer astralmythologischen Motivation heraus geschah – undenkbar: So
gehen all unsere heutigen Kalendersysteme auf ihre theoretische und praktische Erforschung der Mond- und Sonnenzyklen zurück, das unverzichtbare Sexagesimalsystem (Rechnen in 60-Einheiten) geht auf die Babylonier zurück, die
Einteilung in eine Woche zu je sieben Tagen, die Zeiterfassung u.s.w..
All diese wissenschaftstheoretischen Fundamente haben ihren allerersten Ursprung in der jahrtausendelangen Beobachtung des Himmels durch die Sumerer, die Ägypter und schließlich die Babylonier. Insbesondere die Babylonier wurden in Gestalt der legendären Priesterastronomen (magoi) Experten in ihrem Fach, und brachten die Himmelsbeobachtung zu einer Perfektion, deren Präzision und Genauigkeit noch heutige Astronomen verblüfft.
Zuerst stand für eine längere Zeit die Astrologie im Vordergrund, also die Beobachtung des Sternenhimmels nach sichtbaren Vorzeichen der Götter, die dann nach dem uralten magisch/mythologischen Motto ›Wie im Himmel, so auf der Erde‹ bzw. ›wie im Großen, so im Kleinen‹, das Leben der Menschen auf der Erde leiten und bestimmen würden. Um diese himmlischen Bewegungen als Zeichen und Reden der göttlichen Mächte richtig verstehen und erfassen zu können, war eine systematische Beobachtung der Himmelswelt unerlässlich. Viele Tempel und Türme dieses Zeitalters dienten exakt diesem Zweck, so die imposanten Zikkurate in Mesopotamien, von denen der Etemenanki in Babylon, das Haus der Fundamente von Himmel und Erde, der biblische Turm zu Babel mit exakt 91x91x91 Metern (nach den Pyramiden das größte Bauwerk der alten Welt) sicherlich der Gewaltigste war. Die Babylonier brachten es im Laufe der Jahrtausende zu wahrer Meisterschaft auf dem Gebiet der Astrologie/Astronomie und entwickelten hochkomplexe Systeme und mathematische Möglichkeiten zur Vorausberechnung der Positionen und Konstellationen der schon sehr früh bekannten Himmelskörper.
Etwa zu Beginn des zweiten Jahrtausends vor der Zeitenwende (um 1.000 BC) wurde diese systematische Beobachtung des Himmels nach den ›Zeichen der Götter‹ auch schriftlich fixiert, was heute aus archäologischer Sicht einen schier unerschöpflichen Fundus antiker Quellen darstellt. Es entwickelte sich im Lauf der Zeit eine privilegierte Priesterkaste von Astrologen/Wahrsagern/Weisen/Gelehrten (im biblischen Buch Daniel überaus exakt beschrieben), die magoi genannt wurden, wovon auch das deutsche Wort magisch (allerdings in etwas anderer Bedeutung) stammt. Linguistisch liegt ihm die indogermanische Wurzel magh- mit der Bedeutung ›können, vermögen, helfen‹ zugrunde, zu deren Wortfamilie auch ›(ver)mögen‹, ›Macht‹ und ›Maschine‹ gehören. Ab dem vierten Jahrhundert BC wurde der Begriff magoi nachweislich als Bezeichnung für einen zoroastrischen Priester (Zarathustra) verwendet und von den Persern übernommen. So liegen uns heute zahlreiche babylonisch/persische Almanache (astronomische Jahrbücher, die detailliert die Positionen der Planeten aufzeichnen) vor, die als Keilschrifttafeln in den großen Bibliotheken von Sippar, Ur, Babylon etc. gefunden wurden, und die periodisch und exakt die Planetenbewegungen des damaligen Himmels dokumentierten, wie auch über lange Zeiträume im Voraus berechneten.
Auch zu jener Himmelskonstellation, die uns in diesem Artikel ausführlich beschäftigen wird, der sogenannten größten Konjunktion des Jahres 7/6 BC stellten die magoi Vorausberechnungen der exakten (!) astronomischen Daten an, die in mehreren Kopien (!) auf Keilschrifttafeln fixiert wurden, was für die Bedeutung spricht, die sie dieser Konjunktion beimaßen. Die Tafeln wurden im Jahr 1925 vom Altorientalisten Paul Schnabel in Sippar entdeckt, und werden heute in verschiedenen Museen weltweit aufbewahrt. (Keilschrift-Tafeln des Vorderasiatischen Museums Berlin Nr. 290 und 1836, s.a. Strobel, S. 1002 ff.)
II. Von Kepler zu d’Occhieppo
Sehr viele Jahrhunderte später, zu Beginn der Neuzeit, machte der weltberühmte Astronom Johannes Kepler (1571-1630) im Jahr 1603 die Entdeckung einer großen Konjunktion zwischen Jupiter und Saturn, was ihn auf die Idee brachte, dem biblischen Bericht der sog. Weisen aus dem Morgenland (Matth. 2,1-12) könne ein tatsächliches astronomisches Geschehen zugrunde liegen. Er stellte Berechnungen an und stellte tatsächlich fest, daß es im Jahre 7/6 BC zu einer sehr außergewöhnlichen Konjunktion gekommen war, und zwar dreimal in diesem Jahr im Sternbild der Fische. Diese besondere Konstellation ist hochgradig selten, und ereignet sich im Durchschnitt alle 854 Jahre (!) und selbst dann nicht periodisch. Die erste astronomisch bekannte und beobachtete Konstellation dieser Art gab es im Jahre 861 BC, dann die von 7/6 BC und seitdem kein einziges Mal (!) mehr in der Geschichte der Menschheit …
Eine astronomische Konjunktion ist eine scheinbare Berührung von Himmelskörpern aus der Perspektive der Erde. Als Große Konjunktion bezeichnet man die Konjunktion zwischen den Planeten Jupiter und Saturn. Die letzte große Konjunktion war im Jahr 2000, die nächste findet 2020 statt. Diese etwa 20-jährige Periode hängt mit den Umlaufzeiten der zwei Riesenplaneten zusammen, die 11,86 und 29,46 Jahre betragen: Das Sternbild, in dem diese scheinbare Begegnung stattfindet, verschiebt sich jedes mal über etwa ein Drittel des Sternhimmels – also rund vier Tierkreiszeichen – und regt dann manch okkulten Astrologen zu meist kruden Voraussagen über die Zukunft an. Weil die zwei Umlaufzeiten fast genau im Verhältnis 2:5 stehen, tritt die Große Konjunktion im Rhythmus von etwa 60 Jahren an ähnlicher Stelle des Sternhimmels ein: Jupiter hat dann fünf Umläufe gemacht, Saturn hingegen zwei. Wenn sie zugleich nahe der Opposition zur Sonne (auf einer 180 Grad-Linie von der Erde aus gesehen) sind, überlagert sich diese Bewegung mit den beiden jährlichen Planetenschleifen: Als Folge dessen können theoretisch in einem knappen Jahr sogar drei Begegnungen stattfinden. Das bezeichnet man dann als Größte Konjunktion. Ihr Auftreten ist sehr selten und besitzt keinerlei Periodizität. Die letzten Male ereigneten sich diese Konjunktionen 1940/41 und 1981. Die nächste größte Konjunktion allerdings findet erst wieder 2238/39 statt. Wenn diese größte Konjunktion schließlich noch im Sternbild der Fische auftritt, haben wir genau jene Himmelskonstellation des Jahres 7/6 BC.
Der Astronom und Astronomie-Historiker Konradin Ferrari d’Occhieppo wies seit 1964 in mehreren Publikationen auf die bereits von Kepler bemerkte und sehr seltene dreifache Jupiter-Saturn-Konjunktion im Zeichen der Fische hin. Das Jahr 7 BC war jenes Datum, das viele Historiker unabhängig davon als Geburtsdatum des Jesus von Nazareth favorisierten.
An dieser Stelle ist es bedeutsam, dass der Magier-Bericht in Matthäus 2,1-12 wie ein eigenständiger Textbaustein in das Evangelium eingepasst ist, und damit vielleicht einen tradierten Text darstellt, der aus astronomisch sachkundiger Feder stammt und Relikt eines tatsächlich beobachteten Ereignisses ist. Hinweise darauf, die auf stilistischen Vergleichen beruhen, hat d ́Occhieppo in seinem Standardwerk zu diesem Thema [Konradin Ferrari d`Occhieppo: Der Stern von Bethlehem] in eindrücklicher Weise gegeben. Viele der Termini aus der sog. Magier-Perikope sind denn auch astronomische Fachausdrücke wie z.B. ›wir haben ›den Stern im (astronomischen) Aufgang gesehen‹ … autoû tòn astéra en tê anatolê (das Wort Anatolien stammt daher) oder ›sein Erscheinen‹ (= das erstmalige Erscheinen eines Sternes im Jahresablauf) etc., wie sie sonst nirgendwo im NT erscheinen. Denn in der Antike gab es die Unterscheidung in Sterne und Planeten, wie wir sie heute kennen, noch nicht. Planeten wurden als Wandelsterne (die Umherschweifenden, die Wanderer) bezeichnet.
Doch von welchem ›Stern‹ ist hier genau die Rede? Es sei schon einmal vorweggenommen, dass der Planet Jupiter in Babylon seit alter Zeit, aber auch in vielen anderen Ländern Mesopotamiens aufgrund seiner Größe und Helligkeit als der Königsstern, als Stern des Herrschers galt, der damals nur ehrfürchtig wahrgenommen wurde. Eine Konstellation mit diesem Planeten hatte immer eine besondere Bedeutung. Jupiter wurde von hellenistischen Astronomen astér pha-êthon genannt, die exakte Übersetzung des sumerischen Múl-babbar für Jupiter.
In Matthäus 2,7 erforscht König Herodes wörtlich ›die Zeit der Erscheinung des Sternes‹, toû phainoménou astéros. Der namenlose Verfasser des ursprünglichen Magier-Berichtes war schwerlich gebürtiger Grieche und mag daher anstelle des seinem gemeingriechischen Wortschatz fremden und seltenen Partizips pha-êthon das ihm geläufigere phainoménos verwendet haben, um – jedoch astronomisch korrekt – den das himmlische Drama beherrschenden Planeten Jupiter zu kennzeichnen.
III. Die Konjunktion aus Sicht der persischen Priesterastronomen vor dem kulturellen zeitgeschichtlichen und politischen Hintergrund ihrer Zeit
1. Astrologisch/mythologischer Hintergrund
Ein babylonisch/persischer Astronom vor zweitausend Jahren musste eine solche Konjunktion als Hinweis auf ein Ereignis in Israel/Judäa verstehen, denn Saturn, der zweitgrößte Planet galt damals explizit als Stern Israels; kewan (der akkadische Gottesname für Saturn) wurde von sogar von einigen Israeliten schon im 8. Jhd. BC als Gott verehrt! In Amos 5,26 schmettert der Prophet dem Volk Israel entgegen: ›... und ihr erhebt den Sikkut als euren König, und den kewan, euer Götzenbild, den Stern eures Gottes, den ihr euch gemacht habt! Vielleicht wurde daher auch der römische Saturns-Tag (Saturday, Samstag) mit dem Sabbat der Juden assoziiert? (hebr. Šabbatai (Stern (Saturn) des Šabbats))
Der westliche Teil des Sternbildes der Fische lag nämlich geographisch gesehen auf dem Westland amurru, also dem Gebiet des antiken Assyrien/Israel/Juda/Palästina. Die Fische wurden astrologisch auch mit Ea, dem babylonischen Gott der Weisheit, der Neuschöpfung (der Geburt!) in Verbindung gebracht. Jupiter war, wie schon erwähnt, als größter und hellster Planet der Königsstern.
Aus diesen astrologischen Zusammenhängen dürften die Weisen, die zusätzlich die jüdische Messias-Erwartung zweifellos (insbes. Numeri 24,17) kannten – denn in Babylon existierte seit dem babylonischen Exil ja eine einflussreiche und hochgelehrte jüdische Gemeinde – in ihrer astro-magischen Denkweise in etwa folgendes kombiniert haben: Königsstern (Jupiter) und Israelstern (Saturn) im Sternbild der Fische: Im Westland (amurru) ist ein mächtiger König geboren worden!
Dass diese Interpretation des himmlischen Schauspiels überaus wahrscheinlich ist, belegen darüber hinaus mehrere zeitgeschichtliche Texte:
In einem babylonischen astrologischen Orakel aus der Gattung der sogenannten Omina-Texte, das in Niniveh entdeckt wurde, und wohl aus der Zeit um 1100 BC stammt, heißt es wörtlich übersetzt: Leuchtet ein großer Stern von Osten gen Westen auf … und geht dann unter, so wird das Feindesheer im Kampfe niedergeworfen werden. (Ungnad S. 320). Das klingt doch beinahe wie die heidnische Variante der biblischen Bileams-Prophezeiung, die jedoch um einige Jahrhunderte älter ist, und die nach dem Segen Jakobs in Gen. 49,10 als älteste und grundlegende Prophezeiung auf die Geburt des Messias hin gilt:
Ich sehe ihn, aber nicht jetzt, ich schaue ihn, aber nicht nahe; es wird ein Stern aufgehen aus Jakob, und ein Mensch wird aufstehen aus Israel, der wird die Oberhäupter Moabs zerschmettern und alle Söhne Seths als Beute nehmen (also seine Feinde niederwerfen) …
(Num. 24,17 nach der Septuaginta, älteste uns bekannte Übersetzung des AT).
Hier klingt sicherlich auch schon der messianische Titel Morgenstern für Jesus Christus an, als ein Stern, der aufgeht zu Beginn des Morgens, nämlich in der Mitte der Nacht!
In einem astrologischen Bericht schreibt ein Priester namens Ascharidu, Sohn des Damka, seinem babylonischen König (ca. 1100 BC) folgendes:
Rückt Jupiter nach Westen zu, friedliche [Wohnstätten], (und) gnadenvolles Heil wird auf das Land sich niederlassen … Glänzt ein großer Stern wie Feuer bei Sonnenaufgang und geht im Westen unter, so wird das Feindesheer in der Schlacht geschlagen werden (Jastrow, S. 640)
und wenig später von demselben Astrologen:
Wenn ein großer Stern (Jupiter) von Osten nach Westen leuchtet und untergeht und sein Glanz verwischt wird (Zodiakallicht?, s. III,3), so wird das Feindesheer in der Schlacht niedergeworfen werden. Wenn ein Stern, der wie Feuer erscheint, von Osten nach Westen leuchtet und untergeht, so wird das Feindesheer seine Macht einbüßen. Zwei Sterne leuchteten in der mittleren Wache hinter einander auf (Jastrow, S. 689)
Weiter heißt es auf einigen von dem britischen Archäologen Creswicke Rawlinson im Jahre 1881 veröffentlichten babylonischen Keilschrifttafeln wiederholt(!):
… dann wird ein großer König im Westland (Syrien/Judäa) aufstehen, dann wird Gerechtigkeit, Friede und Freude in allen Landen herrschen und alle Völker beglücken. (Rawlinson, Tafeln 51-64)
Selbst König Nabonid, der letzte König von Babylon, orakelte in einer Inschrift, der sogenannten Babylon-Stele (ca. 542 BC) von dem großen Stern (Jupiter) und einer besonderen Konjunktion …
Wegen der Konjunktion des ›großen Sterns‹ und Sîns sprach ich in meinem Herzen. […] ›In meinem Traume sah ich deutlich einen ›großen Stern‹, Sîn und Marduk inmitten des Himmels hoch aufgegangen, bei meinem Namen rief er mich und [...] Saturn, [...] Bootes, ... (und) dem ›großen [Stern‹,] die im Himmel wohnen …
(Schaudig, S. 525)
In Altpersien (dem Rechtsnachfolger des neu-babylonischen/chaldäischen Reiches) gab es schon sehr früh die ausgeprägte Erwartung eines Erlöserkönigs. Diese Hoffnung war eng mit der Hauptreligion Persiens seit Kyros dem Großen (559-530 BC), dem Zoroastrismus verbunden. Eine ausführliche Dokumentation dieser Überlieferung würde ein eigenes religionsgeschichtliches Werk erfordern, daher beschränke ich mich auf einen repräsentativen Abschnitt aus dem sog. Bahman yasht, einem mittelpersischen Text, der die Übersetzung einer Apokalypse der Avesta, des heiligen Buches des Religionsgründers Zarathustra darstellt, und spätestens aus frühparthischer Zeit (um 250 BC) stammt, jedoch auf ältere Vorlagen zurückgreifen dürfte. In diesem Buch unterhält sich der Religionsgründer Zarathustra mit Ahura Mazda (dem Herrn der Weisheit, dem Schöpfergott der zoroastrischen Religion). Eine Passage lautet:
(…) In der Nacht, in der der kavi (der Erlöserkönig) geboren wird, erscheint ein Zeichen für die Welt, ein Stern fällt vom Himmel herab. Wenn dieser kavi geboren wird, wird der Stern ein Zeichen geben. … ›Dieser Prinz, wenn er dreißig Jahre alt ist‹, – einige haben die Zeit gesagt – ›erscheint mit unzähligen Bannern und göttlichen Armeen.‹ ... Wenn der Stern Jupiter seinen Kulminationspunkt erreicht (Bâlist) und Venus (die Himmelskönigin) stürzt, empfängt der Prinz die Herrschaft. (Bahman Yasht III, 15.17.18, vgl. Strobel, S. 1123; West, S. 221)
Dabei ist es hochinteressant, dass einige mittelalterliche Gelehrte (z.B. der berühmte syrische Universalgelehrte Gregorius bar Hebräus) darüber berichteten, dass Zarathustra, der nach aktueller Forschungslage zur Zeit des Propheten Daniel lebte (6. Jhd. BC) ein Schüler des Propheten Daniel gewesen sei. Dies erscheint auch darum nicht unplausibel, da der Zoroastrismus als die erste monotheistische Religion nach dem Judentum gilt (!), und Ahura Mazda als Schöpfergott der Weisheit in seinen Attributen sehr an die alttestamentliche Beschreibung JAHWES als der Weisheit (sofia und logos!) insbesondere in Sprüche 8 erinnert!
Diese wenigen Belegstellen zeigen deutlich, wie die Vorstellung und Erwartung eines heilsgeschichtlichen Geschehens, angekündigt durch einen besonderen ›Stern‹ oder eine außerordentliche Himmelskonstellation auf geheimnisvolle Weise eingegraben war in das Gedächtnis der alten Kulturen Mesopotamiens. Natürlich wurden diese ›Zeichen‹ dann nach dem jeweils eigenen Deutungshorizont ausgelegt (Juden/Babylonier/Perser).
Die extrem seltene Konjunktion der überregional bedeutenden Planeten Jupiter und Saturn im ebenfalls bedeutenden Sternbild der Fische deutete also auf dem religiös-kulturellen Hintergrund dieser antiken Völker des alten Orients zumindest zwei wesentliche Dinge an:
Das Ende der alten Weltordnung und die Geburt eines neuen, von einem Gott erwählten Herrschers. Die Tatsache schließlich, dass sich Mars, der römische Kriegsgott der Konjunktion in seiner Endphase (Anfang 6 BC) anschloss, bedeutete speziell für die Römer (zu denen wir im nächsten Abschnitt kommen), dass in Syrien/Palästina (das sie eben gerade erobert hatten), ihre zwei wichtigsten Gottheiten (Jupiter und Mars) das Kommen eines geheimnisvollen Königs ankündigten. Da die Machthaber in Rom ebenfalls in hohem Maße einem mythologisch überhöhten Sternglauben anhingen, ist es kein Wunder, dass sich in einigen Kreisen Roms eine gewisse Nervosität breit machte.
2. Weltpolitischer Hintergrund
Weltpolitisch betrachtet waren die Jahrzehnte vor der Zeitenwende Jahre großer Unsicherheit und verzweifelter Hoffnung auf eine wahrhaft erlösende Herrschergestalt, denn das Elend der einfachen Menschen, die oft als Sklaven lebten, schrie im wahrsten Sinn des Wortes ›zum Himmel‹.
Rom war gerade im Begriff, zur alles beherrschenden Weltmacht aufzusteigen, und es regierte mit brutaler Waffengewalt, und so dürfte die religiös begründete Vorhersage eines ersehnten Königs oder Weltherrschers auch großes politisches Interesse im Jahr 7 BC hervorgerufen haben. Denn trotz der ›offiziellen‹ römischen Regierungsgewalt in den Jahrzehnten vor Christi Geburt, herrschte im Vorderen Orient, in jenem Großraum also, in dem alle drei Kontinente der alten Welt – Afrika, Europa und Asien – mit voller ideologischer Wucht aufeinanderprallten, ein großes Machtvakuum. Das seleukidische Reich, das von den Nachfolgern Alexanders des Großen geschaffen wurde, war 64 BC zusammengebrochen, und die Macht der neuen römischen Herren in diesem Gebiet war noch keinesfalls gefestigt. Sogar als der römische Kaiser Augustus im Jahre 27 BC Rom in eine autokratische Monarchie verwandelt hatte, wurde seine Autorität im Osten infrage gestellt, denn die römischen Eroberer leiteten – anders als die seleukidischen Könige und die jüdischen Hasmonäer – ihre Autorität nicht von einem den Ägyptern, Arabern oder Juden bekannten Gott ab. Aus diesem Grund nahmen viele Menschen die römische Herrschaft als illegitim wahr und hofften, dass ein lokaler nahöstlicher (Erlöser)-König, der von Gott selbst ernannt wurde, die Römer aus dem Land treiben und eine bessere Welt schaffen würde.
Dabei muss man wesentlich berücksichtigen, dass die gesamte antike Welt Götter anbetete und ihnen huldigte, die sie meist in der Natur oder in ihren Ahnen fanden!
So wurde auch in Rom selbst Jupiter als der höchste Gott kultisch und zwingend verehrt, und der Gott Saturn galt als sein Vater! Saturn war zudem Symbol des mystisch ersehnten ›Goldenen Zeitalters‹, der Saturnia regna, und somit dürfte unsere extrem seltene Konjunktion auch in Rom Beachtung gefunden haben, so wie sie selbstverständlich auch dort mit großem Interesse beobachtet wurde: Der spätere Kaiser Tiberius zog sich von 7 BC bis ins Jahr 2 auf die griechische Insel Rhodos zurück, um sich dort Studien an einer im ganzen Mittelmeerraum bekannten astrologisch/philosophischen (!) Schule zu widmen! Dort traf er den berühmten Astrologen Thrasyllos, der sein Lehrer und Vertrauter wurde, und ihn die Künste der Astrologie und Magie lehrte. Der wirkliche Grund seines immerhin neunjährigen Aufenthaltes ist auch unter Historikern geheimnisumwittert, und es kann sehr gut sein, dass ein Zusammenhang mit jener spektakulären Konjunktion zwischen Jupiter und Saturn besteht. Religion und Götterglaube war schließlich grundlegender und auch legitimierender Faktor der Staatspolitik, entsprechend wurden auch die römischen Kaiser als Götter verehrt.
Auch den Hof des jüdischen Königs Herodes des Großen (73 BC – 4 BC), römischer Bürger mit dem Namen Gaius Iulius Herodes, dürfte die Konjunktion nicht ganz unberührt gelassen haben. Herodes war im Jahre 37 BC zum Vasallenkönig über Judäa, Galiläa und Samaria von Kaiser Augustus eingesetzt worden, und war Rom somit rechenschaftspflichtig. Herodes lebte in einer Welt, die erfüllt war mit astronomisch-astrologischen Vorstellungen und religiösem Aberglauben. Die Sterne bestimmen das Schicksal der Welt, so die vorherrschende Überzeugung. Von Anfang an bestimmten sie auch das Handeln des Herrschers, der oft unberechenbar war. Er ist trotz seiner großartigen Bauten (u.a. herodianischer Tempel und heutiger Tempelberg) als grausamer Tyrann in die Geschichtsbücher eingegangen, der den Hohepriester Israels Johannes Hyrkanos II hinrichten ließ, seine eigene Frau Mariamne, und später auch seine eigenen Söhne, die auf seine Anklage hin in Rom just im Jahre 7 BC in Sebaste erdrosselt wurden. (Josephus, Buch XVI, Kap. 11, Punkt 8)
Der römisch-jüdische Feldherr und Historiker Flavius Josephus berichtet weiter, dass Herodes noch kurz vor seinem Tod die angesehensten jüdischen Männer in der Rennbahn von Jericho einschließen ließ. Sein Plan war, sie bei seinem Tod ermorden zu lassen, damit wenigstens die Juden bei seinem Begräbnis weinen würden …
Wahn und Aberglaube des Herodes werden vielleicht am besten anhand folgender Episode aus seinen letzten Lebensjahren, als er bereits schwer krank war, und wohl auch unter extremen Verfolgungswahn litt, deutlich: Eine Gruppe aus der jüdischen Sekte der Pharisäer prophezeite ihm, ›er und seine Nachkommen würden nach Gottes Ratschluss die Herrschaft verlieren‹. Daraufhin ließ Herodes einige der Pharisäer und einen Juden namens Bagoas hinrichten, der laut der Weissagung der Vater des neuen Königs sein sollte. Auch alle Diener am Hof, die dieser Weissagung Glauben geschenkt hatten, wurden umgebracht. (Josephus, XVII 2,4)
Liegt hier vielleicht das Motiv, das ihn zum Kindermord von Bethlehem trieb, nachdem er von den Sterndeutern nach ›einem König der Juden, der geboren werden sollte, und seinem Stern‹ (Matth. 2,2) gefragt wurde? Denn selbstverständlich kannte Herodes als König von Judäa die Prophezeiung von Numeri 24,17. Der römische Rhetoriker Macrobius berichtete später, Kaiser Augustus habe, nachdem er vom Mord in Bethlehem und dem Wahn des Herodes erfuhr, folgendes Wortspiel gebraucht: Bei Herodes ist es besser, sein Schwein (hyn) zu sein als sein Sohn (hyión).
Es ist erstaunlich, daß all diese Ereignisse – auch der Rhodos-Aufenthalt des Tiberius zu ›astrologischen Studien‹ – sich just um die Zeit 7/6 BC ereigneten, und es wäre mehr als unwissenschaftlich, dies nicht mit jener Himmelsbeobachtung, die die antike Welt von Rom über Griechenland bis in den Vorderen Orient hinein in Aufregung versetzte, in einen Kausalzusammenhang zu bringen. Gerade im Judentum der Zeitenwende lag also eine unglaubliche Spannung in der Luft.
Es gibt noch weit mehr außerbiblische Schrift-Zeugnisse dieser verzweifelten Hoffnung (auf Erlösung), doch sie würden den Rahmen dieser kleinen Studie vollkommen sprengen. Diese messianischen Erwartungen wurden insbesondere in den Schriftrollen der Essener vom Toten Meer religiös bis fanatisierend reflektiert. Die außergewöhnliche Konjunktion von 7/6 BC könnte also am Königshof des Herodes und von etlichen jüdischen Sekten sehr gut als Vorzeichen der Geburt eines von Gott gesandten Königs interpretiert worden sein. Die von ihr eröffneten Aussichten für eine politische Neuordnung des Mittelmeeraumes dürften sehr aufregend gewesen sein.
Mit diesem umfangreichen Vorwissen, das aus religiösen, prophetischen, kulturellen und nicht zuletzt politischen Inhalten bestand, beobachteten die persischen magoi, die Weisen der alten Welt, kurz die intellektuelle und akademische Elite ihrer Zeit, jene besondere Konjunktion am nächtlichen Himmel von Babylon …
3. Was sahen die ›magoi‹ in jenem Jahr tatsächlich?
Als das Jahr 7 BC schließlich in Babylon begann, war Jupiter bereits im Nachthimmel zu sehen. Saturn erschien kurz danach, am dritten Tag des ersten Nisan (Anfang April). Die Planeten trafen sich zur ersten Konjunktion am 27. Mai und stiegen im Osten um etwa 2 Uhr morgens auf, der hellere Jupiter zuerst, und dann Saturn. Die zweite Konjunktion der Planeten fand am 22. Tishri (6. Oktober) statt.
So wie Mars der Stern des Westens war, wurde Tishri als der Monat der Amurru bekannt, denn er ist der erste Monat des jüdischen Jahres. Diese zweite Begegnung ausgerechnet am Anfang des jüdischen Jahres also mag die magoi endgültig dazu inspiriert haben, nach Westen zu reisen. Dass sie beschlossen, Herodes Hof zu besuchen, ist naheliegend, da er zweifellos einer der mächtigsten Könige dieser Region war. Diese Weisen mussten auf ihrer Reise einen brillanten und außergewöhnlichen Anblick genossen haben: Jupiter und Saturn waren in astronomischer Opposition zur Sonne und strahlten am hellsten, Jupiter leuchtete in dieser Nacht zweimal so hell wie Sirius, der üblicherweise hellste Stern am nächtlichen Himmel. Direkt über Saturn stand Jupiter und schien Saturn in seinem hellen Lichtschein zu schützen und zu umarmen! Diese kosmische Begegnung war im ›Westland‹ (Syrien/Judäa) während der ganzen Nacht sichtbar.
Die Reise der 1.000 Kilometer von Babylon nach Jerusalem dauerte damals ungefähr drei Wochen mit dem Esel oder Kamel. Wenn die Männer im frühen Oktober nach Israel aufgebrochen wären, wären sie schon vor dem 12. November, als Jupiter seinen zweiten stationären Punkt erreichte, und für einige Stunden still zu stehen schien, angekommen.
K. F. d’Occhieppo hat an dieser Stelle erstmals auf ein Phänomen hingewiesen, das in die wissenschaftlichen Betrachtung mit einbezogen werden muss: Nämlich die Erscheinung des sogenannten Zodiakallichtes, eines Phänomens am Abend- und Nachthimmel, das durch die Bestrahlung und Reflektion von Staubpartikeln zwischen Sonne und Erde bewirkt wird – vergleichbar in unendlich kleinerem Maßstab mit einem Scheinwerfer-Kegel im Nebel – wesentlich verstärkt von Jupiter und Saturn, um die ja riesige Mengen von Staub wirbeln. Es war damals als extreme Leucht-Erscheinung zu erkennen, die wohl niemand ohne Betroffenheit zur Kenntnis genommen haben konnte.
Denn an jenem 12. November befanden sich Jupiter und Saturn von Jerusalem aus gesehen nach Eintritt der astronomischen Dämmerung von 18.45 Uhr bis nach 22 Uhr Ortszeit an der Spitze dieses Lichtkegels, und es muss so ausgesehen haben, als gehe das strahlende Licht von diesem Planetenpaar aus. Die Achse des Lichtes wies ähnlich einem Suchscheinwerfer während dieser Stunden beständig (!) auf das vor ihnen liegende Bethlehem, dessen Häuser sich scharf gegen das Zodiakallicht abgehoben haben mussten. Während dieser Phase entstand der Eindruck, dass die Planeten trotz der weiterlaufenden Drehung des Himmels über der Stelle stehenblieben, wo das Kind war. (vgl. die Forschungsergebnisse d`Occhieppo) Dieser ›Stillstand‹ geschieht, wenn die Erde, die sich mit einer schnelleren Rotation in ihrer kleineren inneren Umlaufbahn bewegt, Jupiter (oder jeden äußeren Planeten) einholt. Als die Erde den Planeten überholte, erschien Jupiter vom irdischen Aussichtspunkt aus still zu stehen, sich dann rückwärts (nach Westen) zu bewegen, bis die Erde ihn wieder passiert hatte. Dieser riesige Lichtkegel am nächtlichen Himmel, der auf das messianische und ›kleine‹ Bethlehem wies, (Micha, 5,1-4) musste in der Tat die ganze Stadt Jerusalem und den Königshof faszinieren, wenn nicht erschüttern, vor allem jene Schichten des Volkes, die in irgendeiner Weise einen Bezug zu diesem ›Zeichen‹ ableiten konnten: Jupiter, der Königsstern stand dort zusammen mit Saturn, dem Stern des jüdischen Volkes, während beide Planeten durch jenes geheimnisvolle Licht in einzigartiger Weise beleuchtet, am Himmel strahlten. Die Frage nach dem himmlischen (messianischen) Sinn der Erscheinung musste aufbrechen. Im Süden lag ja Bethlehem, der Geburtsort von König David … (Computeranimation des Abendhimmels über Jerusalem am 12. November 7 BC, 18 bis 21.30 Uhr)
Dass man als gelehrter Jude das merkwürdige Zodiakallicht im Übrigen sehr wohl kannte, legt eine rabbinische Überlieferung nahe, die lautet: Die Sonne sägt am Himmelsgewölbe wie ein Zimmermann; von daher kommt die Sonnenstaub-Säule, die bildliche Erläuterung dieses astronomischen Phänomens. In Bethlehem aber lag tatsächlich der, von dem geweissagt wurde, er sei ›die Sonne der Gerechtigkeit‹, und er wurde es als Zimmermann!
Die dritte Konjunktion trat zur Zeit des Vollmondes, am 14. Kislev (1. Dezember) auf, etwa drei Wochen vor der Wintersonnenwende, zu der Babylon das jährliche Fest des Nabû, dem Sieg des Gottes Nabû über die Mächte der Dunkelheit feierte. Nabû ist ein Erlösergott, und der irdische König seine Inkarnation. Der Zeitpunkt des 24. Dezember als metaphorische Feier des ›Lichtes über die Dunkelheit‹ (Weihnachten) dürfte also gut gewählt sein …
Die magoi dürften wohl die Geburt des Königs, den sie gesucht hatten, mit diesem Fest verbunden haben, denn ein mesopotamischer Herrscher wurde traditionell als eine Inkarnation von Nabû verstanden. Interessanterweise verkündeten die Babylonier den Sieg Nabûs während ihrer Siegesfeier als ›gute Botschaft‹ an alle Menschen! Denn bussurtu, ›gute Botschaft‹ ist das gleiche Wort wie hebräisch/aramäisch besorah, von dem das biblische euangelion (gospel) die griechische Übersetzung ist. In Lukas benutzt der Engel genau diesen Begriff, um Jesu Geburt den Hirten zu verkünden, die über ihre Herde bei Nacht wachten …
All diese Zeit- und Datumsangaben wurden durch umfangreiche Computeranalysen bestätigt, und sind weitgehend identisch (!) mit den antiken Keilschrifttafeln bezüglich dieser außergewöhnlichen Konjunktion für das Jahr 7/6 BC, die die antiken Astronomen überaus genau berechnet hatten.
Dieser astronomische Ablauf des Geschehens (der drei Konjunktionen, Stillstände und Positionen von Jupiter und Saturn in jenem Jahr) ist mittlerweile wissenschaftlicher Konsens, und wird in Planetarien weltweit zur Weihnachtszeit präsentiert. Darüber hinaus zeigten die Computerberechnungen, dass die beiden Planeten von Babylon aus gesehen in Richtung Jerusalem zogen und dann tatsächlich von Jerusalem aus Richtung Bethlehem.
IV. Der Prophet Daniel von Juda als Bindeglied zwischen messianischer Hoffnung und heidnischer/babylonischer Astrologie
Woher aber hatten die Priesterastronomen in Babylon die detaillierten Kenntnisse über die jüdische Messias-Erwartung? Was war der wirkliche Grund ihres großen Interesses an dieser Konjunktion, die sie veranlasste, eine lange, beschwerliche und auch politisch heikle Reise auf sich zu nehmen?
Es ist historisch gut belegt, dass einige Juden schon während des babylonischen Exils zu großem Reichtum und Einfluss gelangt waren, und nach dem Ende ihrer Deportation (538 BC) im nachfolgenden persischen Reich aufstiegen, und die ansässige jüdische Gemeinde zu hoher kultureller und religiöser Blüte führten. Der babylonische Talmud entstand hier, und die gesamte jüdische Gemeinde im heutigen Irak (die durch arabische Vertreibung 1948/49, sowie durch den heutigen IS fast ausgestorben ist) geht auf diesen Wurzelstock zurück.
Es ist im höchsten Maße wahrscheinlich, dass der im Judentum hochangesehene und schon früh verehrte Prophet Daniel von Juda Schüler (möglicherweise auch den Religionsgründer Zarathustra) gehabt hatte. Flavius Josephus berichtet (Josephus X, 11,7), dass Daniel sich in seinen späten Lebensjahren einen ›Turm‹ in Ekbatana, in der Bergresidenz der Perser errichten ließ. Vielleicht zur Beobachtung des Himmels. Denn im ganzen Vorderen Orient war die messianische Weissagung des heidnischen Sehers Bileam von Peor wohlbekannt, die grundlegende Weissagung auf den Messias hin, die den Stern enthält und den jüdischen König, also genau die Aspekte, die die Priesterastronomen aus dieser Konstellation herauslasen. Könnte diese Weissagung nicht über all die Jahrhunderte seit dem babylonischen Exil im Herzen von Juden und Heiden in Babylonien/Persien geschlummert haben, die nun in endlich einer Position waren, nach den Vorzeichen der Erfüllung dieser uralten Prophetie zu forschen? Schon der Kirchenvater und Apologet der Spätantike, Origenes (185 – 254) schrieb hierzu:
Wenn nämlich von Mose Balaams Prophezeiungen in die Heilige Schrift aufgenommen worden sind, um wie viel mehr wurden sie dann von den damaligen Bewohnern Mesopotamiens niedergeschrieben, bei den Balaam hoch angesehen war, und die bekanntlich Schüler seiner Kunst waren! Von ihm soll ja das Geschlecht der Magier und ihre Lehre im Osten sich herleiten. Da diese also die Niederschrift aller Prophezeiungen Balaams hatten, besaßen sie auch die: ›Ein Stern wird aufgehen aus Jakob, und ein Mann erstehen aus Israel.‹ Diese Schriften hatten die Magier bei sich, und deshalb erkannten sie, als Jesus geboren wurde, den Stern und begriffen die Erfüllung der Prophezeiung, begriffen sie besser als das Volk Israel, das es verschmähte, die Worte der heiligen Propheten zu hören. (Kirschbaum, S. 136)
Denn für Origenes war der heidnische Wahrsager Balaam auch der Prophet der Heiden, und nur ihn hatte Gott bestimmt, zu ihnen zu sprechen, denn auf einen Juden würden sie wohl nicht gehört haben. So schreibt Origenes in seiner 14. Numeri-Predigt:
Es handelt sich nämlich hier um eine wunderbare und große Anordnung; weil die Worte der Propheten, die auf die israelitischen Kreise beschränkt waren, nicht zu den Heidenvölkern gelangen konnten, wurden die verborgenen Geheimnisse Christi diesen durch Balaam, dem von allen Völkern Glauben geschenkt wurde, bekannt, und dieser große Schatz wurde zu den Heiden nicht so sehr durch den Instinkt des Herzens als durch das gesprochene Wort getragen. (s. ebd.)
Im Jahr 1967 wurde im heutigen Jordanien eine außerbiblische und fragmentarische Inschrift gefunden, die mittels Radiocarbon-Methode auf das Jahr 816 BC datiert wurde, und von dem heidnischen Seher Balaam (zweifellos der Bileam der Bibel) berichtet. Dies war nach eingehender archäologischer Analyse aber lediglich die Abschrift einer möglicherweise um Jahrhunderte älteren Inschrift:
Inschrift von [Ba] laam [Sohn von Beo]r, der Mann, der ein Seher der Götter war²
Die Götter kamen des Nachts zu ihm und [sprachen] gemäß diesen Worten: Und sie sprachen zu Balaam, dem Sohn Beors so: ›Die letzte Flamme ist erschienen, ein Feuer der Züchtigung ist erschienen!‹ Und Balaam erhob sich am nächsten Tag [... etliche] Tage [...] und er konnte nicht essen, und er weinte sehr und seine Leute kamen zu ihm und sagten zu Baalam, dem Sohn des Beor: ›Warum fastest du und weinst?‹ Und er sagte zu ihnen: ›Setzt euch! Ich werde euch zeigen, wie groß das Verhängnis ist, und kommt, seht die Taten der Götter! Die Götter haben sich versammelt und die Mächtigen [Shaddayinb]³ ein Datum festgelegt, und sie sprachen zu Sha [ma] sh [/ der Sonne]: ›Sew, verschließe den Himmel mit deiner Wolke! Lass dort Dunkelheit, und kein Scheinen sein ... denn ihr werdet Schrecken durch die Wolke der Dunkelheit hervorrufen, und macht niemals mehr Lärm, denn an ihren Plätzen sind die Fledermaus, der Adler, der Pelikan, die Geier, der Strauß und die Jungfalken, die Eule, die Küken des Reihers, die Taube, der Vogel des Raubes, die Taube und der Sperling, jeder Vogel der Himmel und unten [auf der Erde], an dem Ort, an dem der Dieb des Hirten die Mutterschafe leitet, fressen die Hasen … völlig frei …(Quelle)
So war also der heidnische Seher Balaam von Beor eine im ganzen antiken Orient geachtete Persönlichkeit – auch und gerade unter Nicht-Juden –, und seine berühmte Prophetie von einem Stern sowie einem ›Zepter‹ oder ›einem Menschen‹, der sich aus Juda erhebt (Num. 24,17) sicher auch.
Was liegt also näher als die Annahme, das auf den biblischen Propheten und Gelehrten Daniel von Juda eine astronomische Schule zurückgeht, und ihm persische Astronomen – Juden und zugleich magoi – nacheiferten, um die uralte messianische Hoffnung ihres Volkes mit dem astronomischen Wissen der Babylonier und Perser zu verbinden? Denn es gab da ja noch diese Verheißung des Propheten Micha von Moreschet aus dem 8. Jhd. BC:
Und du, Bethlehem Efrata, das du klein unter den Tausendschaften von Juda bist, aus dir wird mir der hervorgehen, der Herrscher über Israel sein soll; und seine Ursprünge sind von der Urzeit, von den Tagen der Ewigkeit her. Darum wird er sie (Israel) dahingeben bis zur Zeit, da eine Gebärende geboren hat und der Rest seiner Brüder zu den Söhnen Israel zurückkehrt. Und er wird auftreten und seine Herde weiden in der Kraft des HERRN, in der Hoheit des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden in Sicherheit wohnen. Ja, jetzt wird er groß sein bis an die Enden der Erde. Und dieser wird Friede sein … (Micha 5, 1-4)
Als die Sterndeuter aus dem Osten seinen Stern also ausgerechnet
über Bethlehem stillstehen sahen, dürften sie sich auch an diese Weissagung erinnert haben…
V. Fazit
Es wäre mehr als logisch, wenn der Gott des Universums, der Gott, der die Welten erschaffen hat, die Zeitenwende und Inkarnation seines gesalbten Königs so eingeleitet hätte, dass die größten und mächtigsten Zivilisationen der antiken Welt, das erstarkende römische und das zerfallende hellenistisch-persische Reich (und diese Großreiche bargen eine Vielzahl von Völkern, eine wahrhaft multikulturelle Angelegenheit) davon Kunde erhielten, und zwar auf diejenige Weise, die dem religiösen Weltbild und der kulturellen Tradition ihrer jeweiligen Gesellschaften entsprach: Nämlich durch ein astronomisches Zeichen von epochaler Bedeutung, das von niemandem übersehen werden konnte, weil es im geschichtlichen Erbe der Völker wie eine geheimnisvolle DNA fest angelegt war, und nur darauf wartete, entziffert zu werden. Dass darüber hinaus diese außerordentliche Himmelskonstellation, die im kürzesten Abstand alle 854 Jahre zu beobachten ist, genau in jenes Jahr fiel, das moderne Wissenschaftler und Historiker aufgrund der zeitgeschichtlichen Umstände als Geburtsdatum des Jesus von Nazareth favorisieren (Kaisertum des Augustus, Statthalterschaft des Publius Sulpicius Quirinius, Regierungszeit Herodes des Großen u.a.), mitsamt ihrer für die damalige Welt immensen mythologisch und symbolischen Aussagekraft, ist selbst bei nüchterner und säkularer wissenschaftlicher Betrachtung ein äußerst bemerkenswerte Tatsache der Weltgeschichte …
Man könnte die in dieser Studie präsentierten babylonischen und jüdischen Allegorien ›mythischer Wucht‹, die aus den Ursprüngen der Menschheit, aus einer fernen Erinnerung zu uns herüber zu wehen scheinen, noch um ein Bild erweitern: Himmel (Jupiter/Königsstern) und Erde (Saturn/Israel) begegneten sich für jedermann sichtbar in einer wortwörtlichen ›Sternstunde‹ der Weltgeschichte, als Ouvertüre also für das Erscheinen jenes wahren Morgensterns, der die Zukunft der Menschheit für immer verändern würde.
Anmerkungen
¹ Um die Jahresangaben vor der christlichen Zeitrechnung einfacher und kürzer zu kennzeichnen, wird im folgenden Text das englische BC (before Christ) statt des umständlichen und längeren v. Chr. (etc.) verwendet.
² Diese prophetische Unheilsandrohung erinnert an seine Prophetie für die heidnische Welt in Num. 24, 23.24, bei der die Septuaginta, V. 23 sogar liest ›oh, oh, wer wird überleben, wenn Gott dies festsetzt ...‹, was ähnlich wie das festgelegte Datum der Schaddaj-Götter (s. Anmerk. zu ³) klingt; diese Unheilsverkündigung erinnert aber ebenso an den biblischen ›Tag des Herrn‹, der in der ganzen Schriftprophetie des AT eine große Rolle spielt.
³ wörtl. übersetzt: Shaddaj-Götter. Das erinnert an die Selbstvorstellung JAHWES als El Schaddaj, der allmächtige Gott zuerst in Gen. 17,1ff.; innerhalb der biblischen Bileams-Prophezeiung, in Num. 24, 4.16, verwendet der Seher dieselbe Bezeichnung in der Singularform, statt im Plural der zitierten Inschrift! Das bestätigt die ungewöhnliche prophetische Salbung des Bileam durch Gott für diesen einzigartigen Moment heilsgeschichtlicher Weissagung eines ansonsten polytheistischen Wahrsagers auf vortreffliche Weise.
Quellenverzeichnis und weiterführende Literatur
D'Occhieppo, Konradin Ferrari: Der Stern von Bethlehem in astronomischer Sicht. Gießen: B.-Verlag, 1997
Jastrow, Morris: Die Religion Babyloniens und Assyriens Bd. II, Gießen, 1912
Josephus, Flavius: Jüdische Altertümer, Wiesbaden: Fourier-Verlag, 1993
Kepler, Johannes: De Stella Nova in Pede Serpentarii. Frankfurt, 1606
Kirschbaum, Engelbert: Der Prophet Balaam und die Anbetung der Weisen in: Römische Quartalsschrift,
Bd. 49, Freiburg: Herder-Verlag, 1954
Kraus, Wolfgang (Hrsg.): Septuaginta Deutsch – das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 2009
Lemaire, André: Biblical Archaeology Review: Fragments from the Book of Balaam found at Deir Alla,
9/10/1985
Parpola, Simo: Biblical Archaeology Review: The magoi and the Star, 12/2001
Rawlinson, Henry Creswicke: The Cuneiform Inscriptions of Western Asia: A selection from the miscellaneous inscriptions of Assyria, Vol. 3, R.E Bowler-Verlag, 1870
Schaudig, Hanspeter: Die Inschriften Nabonids von Babylon und Kyros des Großen,
Münster: Ugarit-Verlag, 2001
Strobel, August: Weltenjahr, große Konjunktion und Messiasstern in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Principat II 20.2. Berlin: Walter de Gruyter, 1987
Ungnad, Arthur: Die Religion der Babylonier und Assyrer, Jena: E.-Diederichs-Verlag, 1921
West, E.W.: Pahlavi Texts Part I, Oxford, 1880
Video der Fernsehsserie 'Alpha-Centauri' (Harald Lesch) zum 'Stern von Bethlehem'
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